Weidenschnitt in Alt Ungnade

Am letzten Januarwochenende haben wir uns wieder dem Weidenschnitt gewidmet.

In einem Arbeitseinsatz gingen wir mit 4 Kettensägen und zahlreichen Helfern an die Arbeit. Kopfweiden wurden entlang unserer 220 Meter langen nördlichen und westlichen Grundstücksgrenze bis auf ihre Basis zurückgeschnitten.
Die Weidenruten, welche in zwei Jahren mit Längen bis zu 5 Metern und Durchmessern bis zu 10 cm teilweise beachtlich gewachsen waren, haben wir zwischen den in Zweierreihen stehenden Kopfweiden in unsere Benjeshecke eingepflegt.

Mehrere Personen arbeiten an einem regnerischen Tag an einem Weidenschnitt entlang eines Grabens. Sie sammeln und stapeln die geschnittenen Äste. Eine Person trägt eine orange Warnkleidung, während andere in dunklen Jacken arbeiten.

Inhalt:

Nahaufnahme eines stark beschnittenen Weidenbaums mit abgesägten Ästen, umgeben von kahlen Zweigen an einem grauen, winterlichen Tag in einer ländlichen Landschaft.

Gelände Anfang der 00er-Jahre

Als das Gelände Anfang der 00er-Jahre gekauft und von den Pionieren des Wagenplatzes angelegt wurde, wurden Kopfweiden in zwei Reihen nahezu um das gesamte Gelände gepflanzt. Es sind alles männliche Exemplare der Silberweide (Salix alba).

Die Kopfweiden, die in Alt Ungnade Anfang der 00er Jahre vorgefunden wurden, waren nur ein Rudiment der Nutzung der Weiden als Zaunpfähle für die Koppeln, die früher um Alt Ungnade herum existierten. Anhand der folgenden Karte von ca. 1900 aus dem Uni – Archiv ist zu erahnen ist wie kleinteilig die Flur um Alt Ungnade herum damals gestaltet war. Die bei weitem kleineren Anbauflächen als heute, wie auch die umsäumenden Hecken und Knicks oft angelegt mit Kopfweiden, schufen eine artenreiche Kulturlandschaft mit der Kopfweide als Charakterrolle.

1900 aus dem Uni – Archiv
Kartenausschnitt von OpenStreetMap zeigt die Ortschaft Alt Ungnade mit umliegenden Straßen, darunter die Kreisstraße K7, "Kurze Straße" und "Am Grünland". Zu sehen sind Gebäude, landwirtschaftliche Flächen und Windkraftanlagen in der Umgebung.
Kartendaten © OpenStreetMap-Mitwirkende, Lizenz: ODbL (https://www.openstreetmap.org/copyright)

Die Hecken und Knicks minderten die Winderosion, so dass weniger Wasser aus den Kulturböden verdunstete, boten Lebensraum für zahlreiche Arten und lieferten Humus durch sich zersetzendes Totholz. Davon profitierten die Bauern erheblich. Ihre Böden wiesen eine weitaus höhere Nährstoffdichte auf und potentielle Schädlinge der Kulturpflanzen konnten nicht zu gefährlich großen Populationen wachsen, da die in den Hecken und Knicks lebenden Fressfeinde stets für einen Ausgleich der Populationen sorgten.

Genauer hingeschaut:

Moosen, Flechten und Algen

Zum Einen bietet die Kopfweide als solches echten Epiphyten (Aufsitzerpflanzen), wie Moosen, Flechten und Algen Lebensraum sowie auch Gelegenheits-Epiphyten, die in dem mehr oder weniger stark zersetztem Holz, im Mulm und an absterbender Rinde optimale Nährstoffbedingungen vorfinden. Beispiele sind hier die Große Brennnessel, Himbeere, Taubnesselarten, Bittersüßer Nachtschatten, um nur einige zu nennen.

Baumpilze

Zum Anderen siedeln Baumpilze, wie zum Beispiel der Weiden – Scheibenpilz (cytidia salicina), der Muschelförmige Feuerschwamm (phellinus conchatus) und der Weiden-Stengelbecherling (hymenos cyphus conscriptum). Sie machen sich zu Nutze, dass Kopfweiden die Wunden des regelmäßigen Schnittes kaum verschließen und so günstige Eindringmöglichkeiten für Sporen darstellen.

Insekten

Als größte Gruppe der Bewohner der Weide sind Insekten zu nennen. In einer wissenschaftlichen Erhebung wurden im Lebensraum „Weide“ 162 Schmetterlingsarten und 64 Käferarten gezählt. Der hohe Anteil an Totholz ist ideal für Ameisen, von denen ca. 8 Arten auf Kopfweiden vorkommen. Auch Wespen und Hornissen finden in Weidenhöhlen gute Bedingungen für Nestbau und Nahrungssuche. Die Blattwespen legen ihre Eier in Blättern der Weide ab, zu erkennen ist dies an den roten Gallen, in denen die Larven leben. Die schon sehr früh im Jahr aufblühenden „Kätzchen“ der Weide bieten den Insekten im wesentlichen drei unterschiedliche Nahrungsquellen:

  • das nahrhafte grüne Gewebe von der der Kätzchen-Spindel
  • bei männlichen Bäumen: die Pollen
  • der Nektar

Gerade Käfern als größter Ordnung aus der Klasse der Insekten bietet die Kopfweide durch ihre Neigung zur Baumhöhlen- und Mulmbildung und das Nebeneinander von härteren und weicheren Totholzpartien in den äußeren Stammschichten sowie die hohe Zahl von Holzpilzarten optimale Bedingungen. Auch größere Insekten mit mehrjährigen Larvenphasen entwickeln sich hier gut. Die starke Dezimierung der Kopfweidenbestände führt dazu, dass zahlreiche Käferarten nur noch sehr selten auftreten und teilweise sogar auf der Roten Liste stehen, wie zum Beispiel der Weberbock in Nordrhein – Westfalen.

Vögel

Als weiteres Glied der Nahrungskette finden zahlreiche höhlenbewohnende Vogelarten hier Schutz und Nahrung. Stark gefährdete Vogelarten, wie Hohltaube, der Wiedehopf, Meisenarten, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper und Trauerfliegenschnäpper sind hier zu nennen.

Säugetiere

Und schließlich finden ebenfalls zahlreiche Säugetiere Schutz und Nahrung in und durch Kopfweiden. Steinmarder und Bilche sind beispielsweise genauso vorzufinden, wie Fledermäuse im Sommer.

Mehrere Personen führen einen Weidenschnitt an einer Kopfweide entlang einer schmalen Landstraße durch. Die geschnittenen Äste werden für die Pflege der Benjeshecke verwendet. Im Vordergrund liegen große Steine mit einer markierten Holzstange. Im Hintergrund sind ein kleines Gebäude, Verkehrszeichen und eine weite Feldlandschaft zu sehen. Der Himmel ist grau und die Umgebung wirkt feucht und winterlich.

Benjeshecke

Mit der Pflege unserer Benjeshecke weiten wir den Nutzen unserer Kopfweiden aus. Nahezu alle genannten Vorteile der Kopfweiden finden sich auch in der Benjeshecke wieder. Da wir die Hecke größtenteils zwischen den zwei Reihen Kopfweiden angelegt haben, erweitert sich der Lebensraum.

Insekten, Amphibien, Reptilien, Spinnen, aber auch Vögel, Fledermäuse, Igel, Haselmäuse und andere Tiere profitieren vom Totholz. Dabei gilt: Je dicker das Totholz, umso besser ist es als Lebensraum geeignet und umso mehr Nahrung ist zu finden. Vor allem Totholz, das von der Sonne beschienen wird, und stehendes Totholz sind artenreich. Hier tummeln sich im Sommer zahlreiche Insekten wie die Blaue Holzbiene, aber auch Eidechsen und andere wärmeliebende Arten.

Eine Benjeshecke aus geschnittenen Ästen und Zweigen umgibt ein Grundstück mit einem alten Holzschuppen und einem Baumhaus in einer großen Weide. Im Vordergrund läuft ein Schäferhund über die asphaltierte Straße. Die Szene zeigt die natürliche Begrenzung durch Totholzhecken und den Weidenschnitt zur ökologischen Gestaltung.

Nicht nur in warmen Sommern ist Totholz Lebensraum, auch im Winter halten sich hier viele Tiere auf. Sie überwintern sicher im Schutz des Geästs am Boden, in Käferbohrlöchern, unter der Rinde und anderen Hohlräumen. Ein bekannter Wintergast ist der Igel. Aber auch Kröten und manche Insekten überwintern in einem Totholzhaufen.

Zusätzlich entsteht Sichtschutz wie auch Schutz vor Winderosion, wodurch das Wasser unserer Böden weniger schnell verdunstet als auf riesigen Ackerflächen. Durch die Beschattung der Wurzelbereiche der Kopfweiden mit der Benjeshecke ist hier die Verdunstung gemindert und damit für eine ausreichende Versorgung des Wurzelbereiches mit Wasser gesorgt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, dass der Humus der Weidenruten durch das Einflechten in die Benjeshecke am Ort bleibt und so die von der Weide aufgenommenen Nährstoffe im Kreislauf des Biotops bleiben. Im Gegensatz zu vielen Hobbygärtner und Grundstücksbesitzern fahren wir unseren Grünschnitt nicht ab. Humus ist das Gold für das Wachstum aller Pflanzen.

Freiraum e.V.

Als „Freiraum e.V.“ haben wir uns laut Satzung der naturgerechten Landwirtschaft und insbesondere dem Erhalt alter Kulturpflanzen und Sorten verschrieben. Wir schützen und erhalten den Strukturreichtum der Kulturlandschaft Vorpommerns. Wir schützen seltene Tiere und Pflanzenarten und ihren Lebensraum durch den schonenden und umweltgerechten Umgang mit den natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft sowie Flora und Fauna.

Also ist die Pflege der Kopfweiden und der Benjeshecke essentiell für die Umsetzung unserer Vereinsziele.

„Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, mit Einigkeit, Köpfchen und Tatkraft ein nachhaltiges Refugium für alle Lebewesen unseres Ortes zu schaffen. Im Kleinen kann, exemplarisch für das Große, ein beachtlicher Artenreichtum entstehen trotz mittlerweile leider riesiger Monokulturäcker fast ohne Heckenstreifen und Knicks. Wie auch andere Iniativen weltweit, stellen wir mit unserem Projekt ein Bollwerk gegen das massenhafte Sterben von Arten dar und geben unser Wissen dazu auch gern weiter.“

Sprecht uns einfach an!
Personen führen einen Weidenschnitt entlang einer ländlichen Straße durch. Die Kopfweiden werden zurückgeschnitten, und das Schnittgut wird zur Pflege und möglicherweise zum Bau einer Benjeshecke genutzt. Die Umgebung ist geprägt von einer offenen Landschaft mit Wiesen und vereinzelten Bäumen unter einem grauen Himmel.

Fotos: Fred Borgwald

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